Neue Chancen für Fachgeschäfte im Online-Handel – Diskussion über Gründungsimpulse im Handel und Stadtkultur in der NASPA Wiesbaden

(v.r.n.li) Am Rednerpult: hr-iNFO-Journalistin Heidi Radvilas, Nanna Beyer, Kiezkaufhaus Wiesbaden, Einzelhändler Dr. Dominik Benner, Geschäftsführer Schuhe24, Thomas Vogt, Leiter Firmenkunden Region Mittem Svenja Brüxkes vom IFH Köln, Silvio Zeizinger, Geschäftsführer Handelsverband Hessen e.V., Sedat Aktas und Geschäftsführer Geile Weine KA-18 GmbH bildeten das Podium auf der Veranstaltung „Neue Gründungsimpulse für den städtischen Handel“ im Rahmen der Gründertage Hessen 2018. © Foto: Diether v. Goddenthow
(v.r.n.li) Am Rednerpult: hr-iNFO-Journalistin Heidi Radvilas, Nanna Beyer, Kiezkaufhaus Wiesbaden, Einzelhändler Dr. Dominik Benner, Geschäftsführer Schuhe24, Thomas Vogt, Leiter Firmenkunden Region Mittem Svenja Brüxkes vom IFH Köln, Silvio Zeizinger, Geschäftsführer Handelsverband Hessen e.V., Sedat Aktas und Geschäftsführer Geile Weine KA-18 GmbH bildeten das Podium auf der Veranstaltung „Neue Gründungsimpulse für den städtischen Handel“ im Rahmen der Gründertage Hessen 2018. © Foto: Diether v. Goddenthow

Das allmähliche Sterben des stationären Einzelhandels ist längst nicht mehr nur auf strukturschwache, von Überalterung und geringerer Kaufkraft geprägten Gemeinden und Städten beschränkt. Selbst in prosperierenden Großstädten wie Wiesbaden, Mainz, Frankfurt und Darmstadt verschwinden seit 30 Jahren die alteingesessenen Fachgeschäfte und mit ihnen ein Stück Stadt-Identität  und Stadtkultur.

Zwangen einst Billiganbieter, Handelsketten, Einkaufspassagen und Shopping-Center Tante-Emma-Läden und den Fachhandel in die Knie, scheint ihnen nun der Online-Handel den Rest zu geben. Ist aber die Lage für den  städtischen Handel wirklich so aussichtslos? Oder liegen paradoxer Weise gerade auch im gefürchteten World-Wide-Web ungeahnte Überlebens- und Wachstums-Chancen für „Tante-Emma-&Co“?   Über diese und sonstige Chancen im Einzelhandel in Zeiten des Internets diskutierte  hr-iNFO-Journalistin und Moderatorin Heidi Radvilas  mit prominenten Gästen und Praktikern am Donnerstag, 26. April 2018 im Stammhaus der Nassauischen Sparkasse in Wiesbaden auf der Veranstaltung „Neue Gründungsimpulse für den städtischen Handel“ im Rahmen der Gründertage Hessen 2018.

Veranstaltungs-Impression aus der Kundenhalle der NASPA Hauptverwaltung in Wiesbaden. © Foto: Diether v. Goddenthow
Veranstaltungs-Impression aus der Kundenhalle der NASPA Hauptverwaltung in Wiesbaden. © Foto: Diether v. Goddenthow

Referenten und Diskutanten waren: Svenja Brüxkes vom IFH Köln, Bertram Theilacker, Mitglied des Vorstandes der Nassauischen Sparkasse, Thomas Vogt, Leiter Firmenkunden Region Mitte, Silvio Zeizinger, Geschäftsführer Handelsverband Hessen e.V. und die Einzelhändler Dominik Benner, Geschäftsführer Schuhe24, Nanna Beyer, Kiezkaufhaus Wiesbaden und Sedat Aktas, Geschäftsführer Geile Weine KA-18 GmbH.

Den Reigen eröffnete Svenja Brüxkes (IFH Köln) mit ihrem Impulsreferat über die Auswirkungen des digital bedingten, veränderten Konsumentenverhaltens auf das Einkaufsverhalten anhand der IFH-Studie „Vitale Innenstädte“. Die aus dem Jahr 2016 stammende Untersuchung ging den beiden zentralen Fragen nach, welche Faktoren die Attraktivität von Innenstädten beeinflussen und welche Erwartungen und Ansprüche Besucher an den Einzelhandel und Stadtzentren haben. 60 000 befragte Konsumenten vergaben für die Attraktivität der Innenstädte im Schnitt die Schulnote „Drei plus“. „Mit einer Drei plus als Schulnote können Städte, die sich für die Zukunft aufstellen möchten, nicht zufrieden sein. An jedem Standort stellt sich die Frage nach Lösungen, um drohenden Bedeutungsverlust zu vermeiden“, so Brüxkes. Ihre Studie zeigt auch, welche Anreize hessische Städte Gründern bieten und wie Innenstädte von der Ansiedlung junger, innovativer Unternehmen profitieren.

Veranstaltungs-Impression aus der Kundenhalle der NASPA Hauptverwaltung in Wiesbaden. Im Vordergrund Skulptur "Puppenspieler" von Stephanie Marie Roos der Ausstellung © Foto: Diether v. Goddenthow
Veranstaltungs-Impression aus der Kundenhalle der NASPA Hauptverwaltung in Wiesbaden. Im Vordergrund Skulptur „Puppenspieler“ von Stephanie Marie Roos der Ausstellung © Foto: Diether v. Goddenthow

Ein Beispiel dafür, wie lokale Händler erfolgreich im Online-Shopping sein können und so ihr Ladengeschäft stärken, ist Gründer Dominik Benner. Er erzählte, wie er Schuhe24 als Plattform für lokalen Einzelhändler aufgebaut hat, gab Tipps, wie man ein Geschäftsmodell als Plattform aufbauen sollte und welche Fehler es zu vermeiden gilt. „Heute machen bei Schuhe24 über 700 Händler mit“, so Benner. „Wir erzielen einen Umsatz von 50 Millionen Euro. Unser Ziel ist es, die komplette Digitalisierung für stationäre Händler zu übernehmen, damit diese ohne Aufwand, Investition und IT-Wissen direkt ihre Umsätze erhöhen können.“ Dominik Benner wurde 2015 mit dem Hessischen Gründerpreis ausgezeichnet und will künftig auch stationäre Händler anderer Branchen wie Mode oder Lederwaren anbinden.

Neue Geschäftsmodelle müssen, ebenso wie bestehende, finanziert werden. „Innovative und digitale Geschäftsideen erfordern auch bei uns als Sparkasse neue Herangehensweisen. Wir sind stolz, ein Teil der hiesigen Gründercommunity zu sein. Mit der Begleitung von Projekten wie dem Kiezkaufhaus können und wollen wir auch zukünftig einen Beitrag zur Förderung des innerstädtischen Handels leisten“, sagte Bertram Theilacker, Mitglied des Vorstandes der Nassauischen Sparkasse.

„Das Kiezkaufhaus ist ein Online-Shop, auf dem lokale Händler und Hersteller ihre Produkte anbieten“, so Nanna Beyer, verantwortlich für Strategie und Kooperationen. „Die Einkäufe werden am selben Tag mit Cargo-Bikes zum Kunden geliefert; also schneller als Amazon und emissionsfrei. Das verbindet den Komfort des Online-Shoppings – zeit- und ortsunabhängig einzukaufen – mit dem Wunsch, die lokalen, unabhängigen Händler zu unterstützen, die eine Stadt individuell prägen und deren Ersatz durch anonyme Ketten immer mehr bemängelt wird. Ganz nebenbei schützt der Service die Umwelt und entlastet die City-Logistik.“

Silvio Zeizinger vom Handelsverband Hessen e.V. beschreibt die Situation so: „Die aktuellen Veränderungsprozesse in Stadt und Handel unterliegen einer sehr hohen Dynamik. Maßgebliche Treiber sind die Digitalisierung auf der einen und der Bedürfniswandel auf der anderen Seite. Die Städte und auch der Handel haben inzwischen primär eine Erlebnisfunktion. Dieser gerecht zu werden, ist nicht einfach. Dafür braucht es innovative Konzepte und Mut zu Veränderung, sowohl digital, vor allem aber auch analog: Im Handel mit Ambiente, Service und Emotionen, und in den Städten mit urbaner Vielfalt.“

Impulsreferate und Diskussion zum Thema "Neue Gründungsimpulse für den städtischen Handel" im Rahmen der "Gründertage Hessen" am 26. April 2018 in der Nassauischen Sparkasse, Rheinstrasse, Wiesbaden © Foto: Diether v. Goddenthow
Impulsreferate und Diskussion zum Thema „Neue Gründungsimpulse für den städtischen Handel“ im Rahmen der „Gründertage Hessen“ am 26. April 2018 in der Nassauischen Sparkasse, Rheinstrasse, Wiesbaden © Foto: Diether v. Goddenthow

Ein Beispiel für diesen Trend lieferte der dritte Gründer in der Runde, Sedat Aktas, der mit der Marke „Geile Weine“ als Händler aktiv ist. „Die Idee für ‚Geile Weine‘ basiert auf dem Konzept der Weinraumwohung – einem stationären Händler aus Mainz“, so Aktas. Mit Co-Gründer Michael Reinfrank hatte Aktas sich vor vier Jahren jedoch entschieden, zuerst im Internet zu starten. „Nachdem wir ‚Geile Weine‘ als Marke bei einer jungen und modernen Zielgruppe etabliert haben, startet nun die zweite Etappe: ‚Geile Weine‘ als stationären Händler in die Innenstädte bringen.“ Aktas berichtete, wie man mit einer starken Online-Marke den Einstieg in den stationären Handel meistern kann.